„Trauriger“ Antifaschismus im postnazistischen Deutschland[1]

von Sendenden im FSK[2] + Club Communism (Sektion Hamburg)[3]

Reflexionen über die Rolle der Antifa sind alles andere als neu und begleiten sie während ihrer ganzen Geschichte. Die Debatte über eine Krise der Antifa ist jedoch 2014/15 wieder neu entfacht: Die Auflösung der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (Arab) in die Neue Antikapitalistische Aktion (NaO), der Kongress „Antifa in der Krise?“, die Auflösung der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) zu Teilen und von Avanti komplett in die Interventionistische Linke (iL) sowie die Umbenennung der Antifa [f] aus Frankfurt in kritik&praxis – radikale Linke [f]rankfurt sind nur einige verstreute Hinweise, dass die Frage der Rolle von Antifa im postnazistischen Deutschland wieder einmal Reflexionsprozesse anstößt. Dabei ist tendenziell eine Abkehr von „klassischer“ Antifapolitik zu beobachten. Gegen diese Tendenz verwehrte sich die Antifa Task Force Jena (ATF)[4] mit einem offenen Brief an kritik&praxis [f]; dieser wiederum wurde vom Club Communism – also Teilen von uns – kommentiert.[5]

Aufgrund dieser Problemlage gab es im FSK in Hamburg am 03.11.2014 und am 01.12.2014 zwei Studiogespräche über die Bedeutung der Antifa im postnazistischen Deutschland[6]. Zur ersten Sendung diskutierten wir mit sous la plage aus Hamburg und der ATF, in der zweiten Sendung konnten wir uns mit zweitgenannten und einem Studiogast vom FSK austauschen. Als Ergebnis der beiden Diskussionsrunden kann festgehalten werden, dass Antifapolitik, entgegen der Annahme aller derjenigen Gruppen, die sich neu ausgerichtet und von Antifapolitik wegbewegt haben, weiterhin notwendig und möglich ist. Das vermehrte Auftreten rassistischer und antisemitischer Demonstrationen und Angriffe in der letzten Zeit bestätigten ihre gegenwärtige Relevanz. Als Anknüpfungspunkt für unser Gespräch diente dabei das Spannungsverhältnis zwischen Rechtsstaat und Zivilgesellschaft und wie beide für eine antifaschistische Politik beurteilt werden müssten. Kritisierten sous la plage die zu starke Verteidigung des Rechtsstaats, sah die ATF diesen als Schutz vor regressiven Tendenzen aus der Zivilgesellschaft.

Unser folgender Beitrag schließt lose an die dort geführten Diskussionen an und nimmt die in den Sendungen behandelten Problemstellungen im Verlauf des Textes wieder auf. Mit unserem Text wollen wir einen Anstoß für eine noch zu leistende Kritik der gegenwärtigen Verhältnisse im postnazistischen Deutschland geben und damit erste Argumente liefern, warum die Antifa gerade auch hier in Deutschland weiterhin wichtig bleibt und welche Bedeutung ihr gegenwärtig zukommen sollte.

Jede Kritik ist immer insofern konkret, als dass sie ihren Standpunkt mit reflektieren muss. Eine Kritik in Deutschland und an Deutschland muss sich damit befassen, dass Deutschland nach dem Ende des Nationalsozialismus und dem Vernichtungskrieg gegen sogenanntes „unwertes Leben“ nun vor allem eines ist: postnazistisch. Die Kontinuität des Nationalsozialismus in Deutschland verweist darauf, dass es das Ziel der Kritik sein muss zu verhindern, dass sich der Nationalsozialismus und Auschwitz wiederholen, also für die Aufhebung dieser schlechten und falschen Verhältnisse einzutreten, die die Möglichkeit der Wiederholung von Auschwitz in sich tragen, Auschwitz weiterhin möglich bleiben lassen. Natürlich reicht dafür Kritik allein nicht aus, sie ist zwar notwendig für eine progressive Politik jedoch bedarf es einer kollektiven Praxis, die die Bedingungen der Wiederholung zerstört.

Der Staat und seine Widersprüche

Die moderne Gesellschaft bringt eine Reihe von Errungenschaften mit sich: Zum Beispiel ermöglicht eine ungeheure Produktivitätssteigerung und ein entfesselter technologischer Fortschritt erstmals die Ernährung der gesamten Weltbevölkerung. Die Moderne geht mit einem Ende der direkten und unmittelbaren Herrschaft von Feudalherren zusammen und der Leibeigene wird doppelt freier Lohnarbeiter; in dieser Entwicklung entstehen Rechtsverhältnisse. Das französische Versprechen „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“ und das amerikanische Versprechen des „pursuit of happiness“ werden unter diesen Verhältnissen politisch denkbar. Diese Errungenschaften sind jedoch beschädigt, Nicht-Bürger_innen, Frauen und Nicht-Weiße blieben (und bleiben zum Teil) von ihnen Ausgeschlossen, die Aufklärung war primär ein Projekt des „weißen Mannes“ und begründete, naturalisierte Geschlechterungleichheiten sowie den modernen Rassismus. Getrieben von eigenen Universalisierungsanspruch breitete sie sich – teils mit großer Brutalität – global aus. Dieser Universalismusanspruch bot und bietet aber zugleich die Möglichkeit der Kritik des Ausschlusses vom bürgerlichen Versprechen. Gleichzeitig eröffnet die Moderne die – im Nationalsozialismus realisierte aber weiterhin stets präsente – Möglichkeit einer industriellen Vernichtung von als „unwert“ klassifiziertem Leben. Dabei ist der Antisemitismus nicht bloß eine Diskriminierungsform unter anderen, sondern der dunkle Kern der Moderne und konstitutiv für diese. Die Gründe liegen unter anderem daran, dass mit der Moderne die Vergesellschaftung abstrakt wird und die unpersonalisierte Herrschaft des Kapitals direkte und persönliche Herrschaft ablöst. Aufgrund dieser immanenten Möglichkeit der Moderne ist stets mit einem Rückfall in die Barbarei zu rechnen – eine endgültig stabile demokratische Ordnung kann es in kapitalistischen Gesellschaften nicht geben. Hieran zeigt sich auch die Gefahr, einzig den „kapitalistischen Normalzustand“, wie das …ums Ganze!-Bündnis, zu kritisieren und damit das Potenzial zur Barbarei als entscheidendes Moment der Moderne tendenziell zu vergessen, was sich darin zeigt, dass sie in ihren neueren Texten niemals die Bedeutung des Antisemitismus, Nationalsozialismus und Auschwitz für gegenwärtige Politik reflektieren und das obwohl sie in Frankfurt vor einer Bank demonstrierten. In unseren Radiogesprächen vom 02.03.2015 und 13.04.2015 jeweils von 23:00-1:00 stellten sich …ums Ganze! jedoch dieser Kritik, wenn auch ungenügend und widerwillig.[7]

Eine zentrale Rolle erhält in der Moderne der Staat und mit Bezug auf Deutschland der Rechtsstaat. Weil er neben zivilgesellschaftlichen Akteuren einer der bedeutendsten Akteure in der gegenwärtigen Politik ist, lässt sich in Auseinandersetzung mit seiner Wirkungsweise die Position der Antifa bestimmen. Im Folgenden sollen nun die Merkmale des Rechtsstaats anhand dreier seiner inneren Widersprüche bestimmt werden: 1. dem strukturellen Ausschluss und der Ungleichbehandlung, 2. dem Verhältnis von Recht und Staat und 3. dem Verhältnis von Subjekt und Struktur im Staat. Das äußere Verhältnis des Staats zu anderen Staaten bspw. durch Kriege oder seine Austeritätspolitik ist für unsere Diskussion hier weniger zentral und wird daher nicht weiter ausgeführt. Um sich aber den Widersprüchen nähern zu können, muss zuallererst aufgezeigt werden, zu welchen Idealen und Errungenschaften die Merkmale im Widerspruch stehen.

Eine zentrale Errungenschaft rechtsstaatlicher Regulierung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist es, dass das Recht mit seinen Institutionen wie Gerichten und der Polizei als dritte Instanz zwischen (Interessen-)Konflikten vermittelt. Der Rechtsstaat unterbindet damit eine automatische und unmittelbare Durchsetzung der stärkeren Interessen und sorgt dafür, dass alle beteiligen Parteien zu ihrem Recht kommen. Rechtliche Verhältnisse kennzeichnen also eine Tendenz zur Gleichheit: Auch den materiell und politisch schlechter Gestellten wird die Möglichkeit gegeben ihre Interessen in Verhandlungen mit Anwält_innen als rechtlichem Beistand durchzusetzen. Eine Ungleichheit bleibt jedoch bestehen, weil gerade diejenige Seite im Gerichtsprozess im Vorteil ist, die mehr und die besseren Anwält_innen hat. Gesetze sind in gewisser Hinsicht, wie sich einschränkend weiter unten noch zeigen wird, ein neutraler und stabiler Rahmen einer Gesellschaft, da sie einerseits von gesetzlich kontrollierten, relativ unabhängigen und neutralen Instanzen wie Gerichten durchgesetzt und geändert werden und andererseits nicht willkürlich von einer Person zu ändern sind, sondern nur aufgrund formaler parlamentarischer Prozeduren. Da Gesetze öffentlich eingesehen werden können, kann das eigene Verhalten bewusst an sie angepasst werden.

Eben diese Errungenschaften verdeutlichen, warum es politisch notwendig ist, sie zu verteidigen. Als bisher erreichtes Moment von Freiheit und Befreiung haben Rechtsstaat und Zivilgesellschaft zwar kein emanzipatorisches Potential an sich. Die Errungenschaften sind vielmehr die Bedingungen der Möglichkeit einer kommunistischen Aufhebung der gegenwärtigen Verhältnisse, weil sie trotz aller Gefahren erstmals Vielfalt schützen, formale Gleichheit ermöglichen und eine allgemeine gesellschaftliche Emanzipation denkbar machen. Sie sind also Grundlage und Ausgang progressiver Politik.

1. Doch nun zu den inneren Widersprüchen des Rechtsstaats. Der Rechtsstaat konstituiert sich immer auch über den strukturellen Ausschluss von seinen Privilegien und eine allgegenwärtige Ungleichbehandlung – widerspricht also seinem Moment der Gleichheit und Neutralität. Offiziell und gesetzlich abgesichert verläuft der Ausschluss bspw. von Flüchtlingen über die Staatsangehörigkeit. Staatsbürger_innen hingegen werden unter anderem übers Strafrecht, also durch Strafen wie Gefängnisverwahrung, einen fehlenden Wohnort, die Aberkennung ihrer Mündigkeit und die Unterordnung unter Betreuer_innen von bestimmten Privilegien des Rechtsstaates ausgeschlossen. Strukturell und verdeckt, aber ebenso wirksam, werden Menschen aufgrund von institutionellem und personalem Rassismus, Sozialdarwinismus, Sexismus, ihrer Bildung, ihrer Armut, aufgrund ihres Aussehens, ihrer sexuellen Orientierung, ihres sozialen Geschlechts, ihres Glaubens, ihrer Milieuzugehörigkeit usw. von den gesetzlich legitimierten Institutionen wie Polizei, Gerichten und anderen Behörden diskriminiert und ausgeschlossen.

2. Ein weiterer Widerspruch bestimmt sich aus dem Verhältnis vom Recht zur Exekutive, Verwaltungshandeln etc. Die Rechtsanwendung geht nie im Gesetz auf, die Polizei setzt sich also immer ein Stück weit über den gesetzlichen Rahmen hinweg, da sie abstrakte Gesetze in konkretes Handeln übersetzen muss, und verändert das Recht so. Nur dadurch sind die immer wieder auftretenden und später oftmals als illegitim verurteilten Einsätze der Polizei, wie zum Beispiel bei der Durchsuchung der Redaktionsräume vom FSK im Jahre 2003, einige Polizeikessel oder die gängige Praxis von Polizeigewalt zu erklären – sie gehören einfach zum Rechtsstaat dazu. Dieses konstitutive Moment zeigt sich auch viel subtiler in den legalen Ermessensspielräumen der Polizei.

3. Auch wenn die formalen Strukturen des Rechtsstaats vorgeben alle Menschen gleich zu behandeln, zeigt sich ein weiterer Widerspruch im Verhältnis seiner Struktur zu den Subjekten des Rechtsstaats. Rechtsstaat und Subjekte stehen, kurz gesagt, unter gegenseitigem Einfluss, ohne das eine Seite die andere komplett bestimmen würde. Das heißt, dass Polizist_innen zwar nach dem Gesetz alle gleich behandeln und sich an Gesetze halten müssten. In ihrer Praxis zeigt sich aber, dass ihre persönlichen Einstellungen und ihr eigenes Handeln oftmals ihren offiziellen und formalen Funktionen entgegenstehen. Es kann hier also zu einem Konflikt zwischen staatlicher Funktion und eigenen Einstellungen kommen, der von der konkreten Situation abhängt. Die offiziellen Praktiken der Polizei wie das Racial Profiling sind selbst rassistisch und die Struktur und Ausbildung der Polizei, gerade die Herausbildung ihres Korpsgeistes, ihre racketförmige Organisation oder die Absage an die Kennzeichnungspflicht, verdeutlichen die Akzeptanz und Förderung dem Recht widersprechender Praxen. Sie sind für die polizeiliche Praxis jedoch sehr effizient, weil sie Polizist_innen ermöglichen am Gesetz vorbei agieren zu können und eine Aufklärung von ihren Straftaten verhindern, bzw. ihre Straftaten extrem schwer bis gar nicht aufklärbar machen.

Dazu kommt, dass der Staat in seiner konkreten Form ein stets verzerrter „ideeller Gesamtkapitalist“ (Marx) ist. Als ideeller Gesamtkapitalist vertritt er kapitalistische Allgemeininteressen und vermittelt die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Kapitalfraktionen mit dem Ziel, die Akkumulation des Gesamtkapitals weiterhin zu gewährleisten und auszubauen. Je nach ökonomischer und ideologischer Situation und nach den wandelbaren Kräfteverhältnissen nimmt der Staat jedoch konkrete und sich widersprechende Formen an. In unterschiedlichen Situationen tritt der Staat als Klassenkompromiss oder als Agent konkreter und besonderer Interessen auf, wenn er bspw. bestimmten gesellschaftlichen Gruppen Privilegien einräumt. Der Staat ist sowohl statisch als auch dynamisch, verschiedenartig. Der Staat ist abstrakt zu bestimmen als statisch, weil gewisse „Gesetzmäßigkeiten“, wie Eigentumsverhältnisse, sein Gewaltmonopol, bestimmte Institutionen, seine ökonomische Verflechtung, seine vermittelnde Position usw. zu seiner Konstitution einfach dazu gehören und seine Politik prägen. Der Staat ist aber hinsichtlich seiner konkreten Politik als ebenso dynamisch zu charakterisieren. Erst in einer konkreten Situation zeigt sich, welchen Einfluss die abstrakten Bedingungen genau auf seine Politik haben.

Deutsche Verhältnisse und antideutsche Kritik

Schon in unserer Antwort auf den offenen Brief der ATF an kritik&praxis [f] verwiesen wir als club communism darauf, dass eine Analyse des Rechtsstaates ohne eine Analyse Deutschlands nicht auskommen kann. Eine abstrakte Analyse und Kritik des (Rechts-)Staats ist, wie sie von der iL und von allen sich als antinational verstehenden Gruppen wie kritik&praxis [f] aber auch noch bei der ATF vorgebracht wird, unzureichend, falsch und politisch gefährlich. Auch wenn bestimmte Merkmale den Staat im Allgemeinen bestimmen, ist dieses Allgemeine in Deutschland nur abstrakt, nicht aber in der konkreten Analyse von der Kritik Deutschlands zu trennen. Beide Momente sind jedoch untrennbar im Staat verwoben. Die allgemeine Bestimmung des Staates ist nur dafür relevant, die strukturellen Gesetzmäßigkeiten von Staaten zu bestimmen. Im strengen Sinne kann es keine antinationale Kritik geben, da die allgemeine Analyse des Staates den Gegenstand ihrer Kritik verfehlt – kommunistische Kritik ist antideutsch. Die Begründung für die Annahme und was das konkret heißt, wird im weiteren Verlauf des Textes dargelegt.

Entsprechend müsste eine antifaschistische Kritik des deutschen Rechtsstaats – die wir folgend nicht leisten – diesen Staat als postnazistischen analysieren. Wir legen den Schwerpunkt auf die Betonung des postnazistischen und nicht des bürgerlichen Staates, weil wir die Rolle des Postnazismus für die gegenwärtige deutsche Gesellschaft als zentral ansehen. Unter Postnazismus verstehen wir das Weiterbestehen der nationalsozialistischen Ideologie nach der Zerschlagung Nazideutschlands. Diese Kontinuität ist nicht nur personell zu verstehen, da viele Nazis auch in der BRD und DDR wieder fußfassen konnten, vor allem in den Geheimdiensten und Ministerien und auch vielen großen deutschen Unternehmen, sondern auch als strukturelles Fortbestehen des Nazismus im neu gegründeten Deutschland. Gemeint ist, dass das gesellschaftliche Potential des Nationalsozialismus, also seine objektiven und subjektiven Voraussetzungen, erhalten blieben, auch wenn sich die konkreten Erscheinungsformen der nationalsozialistischen Ideologie verändert haben.

Die Kontinuität des Nationalsozialismus lässt sich in der Analyse des deutschen Staates und der deutschen Gesellschaft an vielen Stellen verdeutlichen. Schon bei den Nazis bestimmte sich die Zugehörigkeit zur sogenannten Volksgemeinschaft über das „Blut“, also die biologische Herkunft der Menschen. Trotz des „Optionenmodells“ beruht das Staatsbürgerschaftrecht darauf, Zugehörigkeit über die Geburt, also den Geburtsort zu bestimmen. Und auch in der aktuellen Politik lassen sich Muster wiedererkennen. Gerade die Flüchtlingspolitik ist ein Beispiel dafür: Abschiebungen werden bspw. mit einer Gefahr vor „Überfremdung“, „Kriminalität“ und „Wirtschaftsflüchtlingen“ aus dem „Osten“ oder „Süden“ begründet, die „Identität“ und die „Werte“ Deutschlands und des „deutschen Volkes“ „essentiell bedrohen und gefährden“ und sonst auch aufgrund ihres „kulturellen Hintergrundes“ einfach „nicht zu Deutschland passen“ würden. Mal unterschwellig, mal offen ist die rassistische Diskussion stark geprägt von biologistischen Argumentationsmustern, die sich darin zeigen, dass die „Fremden“ die „Einheit bzw. Reinheit“ Deutschlands und seines „Volkes“ „angreifen“ würden und auf ihre naturalisierte, d.h. unveränderbare „kulturelle Herkunft“ reduziert werden. Flüchtlinge werden in Lagern untergebracht, in denen angestellte Wachdienste sie nicht selten erniedrigen und quälen und sie werden von der ansässigen Bevölkerung bedroht. In der Außen- und Sicherheitspolitik gibt sich Deutschland als moralisch geläutert, weil es als Nachfolgestaat des „3. Reichs“ die Verantwortung für die Schuld der nationalsozialistischen Verbrechen auf sich nimmt und dabei nicht die Konsequenz zieht sich komplett aus der Weltpolitik zurückzuziehen, sondern auf dieser Grundlage ein Potenzial für die Rechtfertigung neuerlicher Weltmachtbestrebungen findet. Charakteristisch ist hier die Begründung des ersten Kriegseinsatzes der Bundeswehr im Kosovo, wo der damalige Außenminister den Einsatz damit legitimierte, dass ein „weiteres Auschwitz“ verhindert werden müsste.

Die Kontinuität des Nationalsozialismus findet sich selbstverständlich auch anderswo in der Gesellschaft, in dem weit verbreiteten und keineswegs verschwundenen sich aber durchaus veränderten Rassismus, Antisemitismus, Kollektivismus und Antiamerikanismus, gegenwärtig besonders in verschiedenen Protesten wie bei HoGeSa, PEGIDA oder den Montagsmahnwachen für den Frieden, um nur einige zu nennen. Der Antisemitismus zeigt sich heute vor allem auch in Kritiken an Israel, an Dämonisierungen durch Nazivergleiche oder Ähnlichem und an Verweisen, dass Israel aufgrund seiner Politik die Verfolgung von Jüd_innen selbst zu verantworten habe. Als Rechtfertigung einer solchen Kritik dient die vermeintliche Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit und der daraus resultierenden überheblichen Selbstgewissheit immer zu wissen, was der jüdische Staat alles falsch macht. Darüber hinaus verstehen die meisten Deutschen deutsch-sein immer noch im Sinne einer biologistischen Volksgemeinschaft von „Biodeutschen“, denn sie können es immer jedem Menschen sofort ansehen, wer deutsch ist und wer nicht. Und auch der unverkrampfte und öffentliche „Partypatriotismus“, bei dem ein neues gutes Gemeinschaftsgefühl bei der Feier der eigenen Nation zelebriert wird, können in Deutschland nur unter dem Gesichtspunkt der Kontinuitäten des Nationalsozialismus und seines Wandels zum Postnazismus verstanden werden. Seit 1945 hat sich der Postnazismus jedoch verändert. So ist es gegenwärtig in der breiten Bevölkerung verpönt sich offen und direkt antisemitisch und rassistisch zu äußern oder den Nationalsozialismus zu rechtfertigen oder zu beschönigen. Angesichts der permanenten rassistischen Massenproteste überall in Deutschland bröckelt diese Zurückhaltung. Nur aufgrund dieser Veränderungen konnte es soweit kommen, dass sich Teile der Zivilgesellschaft offen gegen Nazis positionieren und protestieren. Seit dem „Aufstand der Anständigen“ gegen rechtsradikale Gewalt im Jahre 2000 kommt es immer wieder zu breiteren zivilgesellschaftlichen Protesten gegen Naziaufmärsche, Naziproteste vor Flüchtlingsunterkünften oder Häuserkäufe von Nazis, ohne sich dabei jedoch grundsätzlich mit nazistischer Ideologie und ihren gesellschaftlichen Bedingungen auseinanderzusetzen. Bei den Protesten darf natürlich nicht vergessen werden, dass zivilgesellschaftliche Akteure gleichzeitig auch rassistische Proteste hervorbringen. Wesentlich stärker noch als der Staat ist die „Zivilgesellschaft“ eben kein so einheitlicher, sondern ein differenterer Akteur mit größeren Konfliktlinien.

Der Postnazismus zeichnet sich aber vor allem durch sein bestimmtes Verhältnis vom postnazistischen Staat und postnazistischer Gesellschaft aus. Vielleicht kann man sogar sagen, dass diese Beziehung gerade das spezifisch Postnazistische ausmacht. Hier ist zuerst der Korporatismus zu nennen, der darin besteht unterschiedliche Interessengruppen aus der Gesellschaft in gemeinsam vereinbarte Entscheidungen einzubinden. Damit werden die Interessenwidersprüche in der Gesellschaft ausgeblendet und zusammengeführt. Besonders in den deutschen Tarifverhandlungen wird dies deutlich: Arbeitnehmer_innen und Arbeitgeber_innen finden gemeinsam eine Lösung, auf die sich beide einigen können. Keine der beteiligten Parteien kann dabei ihre Maximalforderungen durchsetzen, sie müssen immer Kompromisse machen. Die im Tarifgesetz festgeschriebene deutsche Ideologie zeigt sich hier in der Form, als dass sich die unterschiedlichen Positionen gemeinsam dem Ziel unterordnen, was für das Unternehmen und damit in letzter Konsequenz für Deutschland das „Vernünftige“ und Beste ist. Das Verbot politischer Streiks verdeutlicht die rechtliche Einschränkung von Arbeitskämpfen, die keinen Kompromiss suchen. Dieses Moment der „Volkswohlorientierung“ ist ein weiterhin wirksames Moment des nachlebenden Nationalsozialismus, wie es nicht nur bei den Gewerkschaften zu finden ist, sondern ebenso bei den Volksparteien sowie bei den Grünen oder vermittelnden Institutionen wie Kirchen, Verbände, Kommissionen wie der Ethikrat und Organen der Selbstregulation, wie die Medienanstalten.

Die Rolle der Antifa

Gerade die 68er-Bewegung und der Wandel vom Fordismus zum Post-Fordismus sind nur zwei Momente, die auf eine Wandlung des Staates und der Zivilgesellschaft verweisen. Staat und Zivilgesellschaft bleiben in Deutschland aber postnazistisch geprägt, es leben, wie deutlich geworden sein sollte, Momente des Nationalsozialismus in ihnen nach. Der Postnazismus ist dabei selbst statisch und dynamisch zugleich: Staat und Gesellschaft bleiben immer postnazistisch, ihre konkrete Gestalt verändert sich jedoch. Unter diesen Voraussetzungen ist das einzunehmende Verhältnis der Antifa gegenüber dem Staat als auch gegenüber der Zivilgesellschaft ein gespanntes und ambivalentes. Da beide postnazistisch geprägt und widersprüchlich sind, muss eine voreilige Parteinahme für eine der beiden Seiten von vornherein ausgeschlossen werden. Dies ist der gemeinsame Fehler von Antifagruppen wie der ATF, wenn sie sich immer erst mal dem Staat zuwendet, um ihn gegen seine regressiven Gegner_innen zu verteidigen, aber auch von antinationalen Gruppen wie dem …umsGanze!-Bündnis und der iL, die mit ihrer Massenorientierung immer zuerst progressives Potential in der Zivilgesellschaft verorten und den Staat als wenig erhaltenswert kritisiert. Eine Massenorientierung kann in Deutschland nur als vollkommen blind den aktuellen Verhältnissen gegenüber kritisiert werden. In Deutschland gibt es gegenwärtig schlichtweg keine progressive Massenbewegung. Die einzige gegenwärtige Massenbewegung in Deutschland ist eine rassistische von der AfD über PEGIDA hin zu den Menschen, die (gewaltsam) gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte vorgehen. Dieser rassistische Konsens gegenüber Flüchtlingen erstreckt sich durch die Mehrheit der Zivilgesellschaft und die politischen Parteien.

Beide eben genannten Richtungen charakterisiert eine abstrakte Parteinahme ohne aber die konkrete Situation genauer zu analysieren und damit aufzuzeigen, dass in Staat und Zivilgesellschaft regressive, die es zu bekämpfen gilt, als auch erhaltenswerte Momente zu finden sind, die es zu verteidigen und zu stärken gilt. Es hängt von den konkreten gesellschaftlichen Situationen ab, um zu entscheiden, ob nun eher der Staat verteidigt und unterstützt werden müsste oder eben die Zivilgesellschaft. Nur anhand konkreter Beispiele kann diese allgemeine Formulierung genauer ausgeführt werden. Am Beispiel der aktuellen Flüchtlingspolitik wird die ganze Komplexität dieses Problems anschaulich: Teile der Gesellschaft setzen sich für Flüchtlinge ein, andere Teile demonstrieren mit Nazis gegen sie, Teile der staatlichen Akteure wenden sich offen gegen den Rassismus von PEGIDA und Co., andere setzen sich eher für eine Verschärfung der Flüchtlingspolitik ein. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass es unerlässlich ist, den konkreten Fall zu betrachten und dann zu entscheiden gegen wen und mit wem Politik gemacht werden kann. Oftmals ist die Politik der Zivilgesellschaft und des Staat auch gleich schlecht, wodurch antifaschistische Politik sich gegen beide zu wenden hätte.

 

 

[1] Eingesprochen findet sich dieser Text auch auf der Seite https://www.freie-radios.net/75142.

[2]Unsere Sendung heißt recycling. Wir senden immer den ersten Montag im Monat von 23:00-1:00 im Freien Sender Kombinat Hamburg (FSK).

[3]Weitere Infos zu uns findet ihr unter https://clubcommunism.wordpress.com/.

[4]Die ATF hat sich seit Januar 2016 aufgelöst.

[5]Den ATF Text findet ihr hier: http://ATFjena.blogsport.eu/2014/09/07/antifa-war-gestern/ und die Antwort vom Club Communism findet sich hier: https://clubcommunism.wordpress.com/2014/09/22/offener-brief-an-die-ATF-jena/.

[6]Die Sendung vom 03.11.2014 hatte den Titel „Über die Bedeutung der Antifa im postnazistischen Deutschland“, die Sendung vom 01.12.2014 hieß „Feuer und Flamme für den Staat? Der Rechtsstaat in der bürgerlichen Gesellschaft“. Beide Sendungen finden sich zum Nachhören unter http://www.freie-radios.net.

[7] Nachzuhören ebenfalls auf freie-radios.net: http://www.freie-radios.net/69153 und https://www.freie-radios.net/70114.

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